Die Gaukler

[146] Am Strande des gelobten Lands

In glühem Stich des Sonnenbrands

Kämpft Ludowig der Fromme;

Er trägt in sich des Todes Keim,

Ihm ahnt es, daß er nimmer heim

Ins schöne Frankreich komme.


Scheu lauscht in Zeltes Dämmerschein

Ein junger Edelknecht herein

Und hinter ihm die andern:

»Herr König, es sind Gaukler da,

Drei Brüder aus Armenia,

Die nach dem Grabe wandern.


Es heißt, sie spielen wunderschön!

Erlaubt ein frisches Horngetön

Uns allen anzuhören!«

Der König seufzt: »Betrug der Welt!

Bringt mir die Gaukler in das Zelt,

Daß sie euch nicht betören!«


Jetzt heben an den Mund die drei

Das Horn und spielen frank und frei,

Als ging' es aus zum Jagen.[146]

Dann wie ein Quell im Walde quillt,

So rieselt sanft und wächst und schwillt

Ein Jubeln und ein Klagen.


Gemach vertönt der Hörner Schall,

Laut ruft Renaud von Reineval:

»Du Herzenstrost der Minne!

Lucinden, die sich um mich kränkt,

In Treuen ihres Pilgers denkt,

Sah ich auf stiller Zinne!«


»Ich schaute«, fällt Jung Walter ein,

»In meinem Teich den Widerschein

Von Eichen kühl und düster,

Ich sah mein Boot, der Ruder bar,

Das halb ans Land gezogen war,

Umneigt von Schilfgeflüster!«


Ein jeder hat im Horneslaut

Sein Herz belauscht, sein Lieb geschaut,

Sein Minnen und sein Sehnen.

– »Herr König, sagt, was sinnet Ihr?

Was sehnet Ihr? Was minnet Ihr?

Was rinnen Euch die Tränen?«


Herr Ludwig flüstert: »Sel'ger Traum!

Mich hoben durch den Himmelsraum

Angelische Gestalten.

›Getreuer Knecht willkomm!‹ erscholl

Ein Ruf – ich konnte wonnevoll

Die Tränen nicht verhalten.«


Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 146-147.
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